Hybride Methoden im Projektmanagement – Anpassung als Schlüssel zum Erfolg

Dienstag, 19.6.2018

Hybride Methoden im Projektmanagement

Im Sport stehen oft diejenigen auf dem Siegertreppchen, die sich am besten an die jeweiligen Bedingungen im Wettkampf angepasst haben. Bei einem Mountainbike-Rennen werden zum Beispiel in Abhängigkeit von Strecke, Untergrund, Wetter und vielleicht den anderen Teilnehmern  die richtigen Reifen gewählt, der optimale Luftdruck bestimmt, das Fahrwerk eingestellt und eine Strategie für das Rennen festgelegt.

Dabei müssen oft scheinbar widersprüchliche Eigenschaften miteinander kombiniert werden. Im Falle des Mountainbikes wird eine optimale Kombination der Stabilität und des Federweges eines Mountainbikes mit der Effizienz und dem geringen Gewicht eines Rennrads gesucht. Heraus kommen dabei super effiziente XC und Marathon Bikes.

Ein Merkmal von Hybriden im Sport und in der Technik ist, dass die Eigenschaften in Kombination oft mehr Nutzen bringen als die beiden Urformen. Zudem liegt es in der Natur der Menschen, Technik und Methoden fortlaufend zu optimieren.

Hybride Methoden im Projektgeschäft

Im Projektgeschäft finden wir vergleichbare Situationen vor: Wir suchen die Kombination von Planbarkeit und Stabilität auf der einen und Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit auf der anderen Seite. Bei der Verwendung von hybriden Methoden im Projekt werden also die Stärken der agilen Vorgehensweisen wie Kanban oder Scrum mit den Stärken der traditionellen Vorgehensweisen kombiniert.

Zu den wichtigsten Stärken im Projektmanagement gehören aus unserer Sicht:

Agile Vorgehensweise im Projektmanagement

  • Schnelle Berücksichtigung von neuen und geänderten Anforderungen
  • Kurzer Time-to-Market-Zyklus für Mehrwert schaffende Funktionen, beginnend bei der Kernfunktionalität
  • Hohe Kundenzufriedenheit durch kurze Feedbackzyklen am konkreten Projektergebnis
  • Eigenverantwortung und Entwicklungsmöglichkeiten für die Umsetzungsteams
  • Risikominimierung durch effektive, integrierte Qualitätssicherung und inkrementelles Vorgehen

Traditionelle Vorgehensweise im Projektmanagement

  • Klärung des Projektauftrags und Betrachtung von Fragen zur Architektur im Vorfeld
  • Planung im Vorfeld zur frühzeitigen Abstimmung von Schnittstellen und Integrationsthemen mit den Nachbarsystemen
  • Erstellung eines Gesamtüberblicks über die Aufgabe mittels Strukturplanung und Beschreibung der Arbeitspakete
  • Planbare Synchronisation von mehreren Projekten und Systemen zu gemeinsamen, integrierten Testphasen und Releases
  • Kompatibilität mit Denkweise der Unternehmensleitung und Kriterien für Investitionen – Sachziele, Budgets, Termine
Ausgehend von diesen Stärken liegt der Gedanke nahe, die beiden Seiten miteinander zu verbinden. Das Ergebnis ist oftmals eine agile Umsetzung innerhalb eines klassischen Projektrahmens. Ein Beispiel einer solchen Vorgehensweise ist der sogenannte Water-Scrum-Fall.

Diese Vorgehensweise möchten wir anhand des Fallbeispiels einer Neuentwicklung für das Versorgungswerk der Apothekerkammer Westfalen-Lippe in Münster vorstellen:

agile Methoden innerhalb eines klassischen Projektrahmens

Im weiteren Text wird mit einer Zahl in Klammern auf die Elemente in der Übersicht verwiesen, beispielsweise (1) für den Lenkungsausschuss.

Projektinitiierung

In der Phase der Projektinitiierung (5) konnten wir auf die Ergebnisse einer (klassischen) Vorstudie mit einem Umfang von ca. 3 Wochen zurückgreifen. Wesentliche Ergebnisse wie der Projektauftrag, eine Liste der Stakeholder, ein grober Terminplan, der Projektstrukturplan und eine Beschreibung der 135 Anwendungsfälle (9) lagen bereits vor. Ein Erfolgsfaktor war die Wahl eines angemessenen Detaillierungsgrades. Der Projektstrukturplan mit der Beschreibung der Anwendungsfälle hat uns geholfen, schnell einen guten Überblick über die Aufgabe zu bekommen. Eine feinere Detaillierung hätte keinen Mehrwert gebracht, sondern die Effizienz eher verringert.

Der Nutzen dieser Phase war, dass wir die berechtigten Fragen des Auftraggebers
  • „Wie viel kostet das Projekt?“,
  • „Welche Funktionalität bekommen wir für unser Geld?“,
  • „Wann werden wir das System produktiv setzen?“
konkret beantworten konnten und uns gleichzeitig viel Spielraum für funktionale Ausprägungen, Änderungen im Detail und Austausch von Funktionalitäten („exchange for free“) offen gelassen haben.

Realisierung

Die Realisierung (6, 7) setzte auf die Stärken der agilen Vorgehensweisen in der Umsetzung. In diesem Fall hatten wir keine gemeinsamen Projekträume. Die Konzeption fand überwiegend in den Räumlichkeiten des Kunden statt, während ein Team in unserer „Software-Schmiede“ mit der Entwicklung des neuen Verwaltungssystems beschäftigt war. Durch die räumliche Nähe in Münster, die Beteiligung der Entwickler an der Konzeption und die Nutzung gemeinsamer Systeme wie Confluence und JIRA war eine intensive, fast tägliche Kommunikation gewährleistet. Anstatt unreflektiert den Vertragsumfang umzusetzen, haben wir uns in jedem Sprint mit den Wünschen, Anforderungen und Anregungen der zukünftigen Anwender beschäftigt.

Diese Offenheit für Änderungen wurde in der Praxis gelebt: Neben den vielen Workshops zur gemeinsamen Erarbeitung der Anforderungen wurden bereits frühzeitig regelmäßige Reviews etabliert. Aus diesen resultierten laufend Anpassungen, von denen über 200 umgesetzt wurden. Das Ergebnis ist eine Anwendung, die auf die Wünsche der Anwender zugeschnitten ist und gleichzeitig Architekturstandards einhält.

Integrationstest und Systemtest  

Zum Ende des Projektes haben wir einen gemeinsamen Integrations- und Systemtest (8) als klassisches Element eingesetzt. Die Funktionsfähigkeit der einzelnen Anwendungsfälle war bereits im Rahmen der Entwicklung mit Reviews und automatisierten Tests sichergestellt worden. In dieser Phase standen die vollständige Datenmigration, das Zusammenspiel des Systems mit allen Nachbarsystemen sowie die Einarbeitung der Mitarbeiter am neuen System im Fokus. Zudem konnten wir mit dieser Phase wesentliche Anforderungen an die Testdokumentation erfüllen.

Da die einzelnen Anwendungsfälle bereits aus den Reviews bekannt waren und einzeln getestet wurden, ist nach kurzer Zeit im Projekt bereits Vertrauen in das neue System entstanden. Dieses Vertrauen konnten wir mit den Systemtests noch stärken, da hier kritische Anwendungsfälle wie die Beitragserhebung, die Auszahlung von Renten und die Abwicklung der gesetzlichen Meldeverfahren im Zusammenhang untereinander und im Zusammenspiel mit den bestehenden Nachbarsystemen durchgeführt wurden – fast wie im produktiven Betrieb.

Gemessen an Aufwand oder Budgetverbrauch wurde das Projekt mit einem überwiegend agilen Ansatz durchgeführt. Auf jeden Fall hatte das Team die agilen Prinzipien verinnerlicht. Dabei lief das Projekt in einem traditionellen Rahmen. Über den Lenkungsausschuss (1) hatte der Kunde stets volle Transparenz über den Projektverlauf in vertrauten Kriterien wie Fortschritt im Sinne der Umsetzung der Anwendungsfälle, Budgetverbrauch (2, 3) und Termineinhaltung: Darüber hinaus wurden mithilfe der Earned Value Analyse (4) belastbare Prognosen für den weiteren Projektverlauf erstellt.

Eine Lösung für alle Fälle? 

Mit diesem hybriden Ansatz haben wir in diesem und in ähnlichen Projekten gute Erfahrungen gemacht. Es wurden nicht nur der geplante Termin zur Produktivsetzung und das Budget eingehalten, sondern es wurden auch inhaltlich die Prioritäten des Auftraggebers und der Anwender berücksichtigt.

Die Frage, ob eine hybride Vorgehensweise anderen Vorgehensweisen überlegen ist, möchten wir klar mit „Nein“ beantworten. Vielmehr sehen wir das Vorgehen neben klassischen und agilen Vorgehensweisen als eine gute Alternative mit Stärken und Schwächen, wie die anderen Vorgehensweisen auch.

Wir empfehlen, die Entscheidung für eine Vorgehensweise immer in Abhängigkeit von den Inhalten und Rahmenbedingungen des jeweiligen Vorhabens zu treffen. Denn am Ende ist es wie im Sport: Diejenigen, die sich am besten auf das Umfeld eingestellt haben, erreichen die besten Platzierungen.

 

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Maarten de Klerk

Maarten de Klerk

Maarten de Klerk ist Key Account Manager bei der viadee IT-Unternehmensberatung. Der Ingenieur ist passionierter Kletterer und verbringt seine Freizeit gerne an senkrechten Wänden aus Fels oder Eis.

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