In einer Masterarbeit in Kooperation mit einem international operierenden Automobilzulieferer und der Fachhochschule Münster sind wir dieser Frage mit Machine Learning nachgegangen.
Eine zuverlässige und widerstandsfähige Lieferkette wird in der Automobilbranche als ein entscheidender Erfolgsfaktor betrachtet. Eine Besonderheit von Lieferketten in der Automobilbranche ist die Nutzung von Lieferabruf-Systemen zur Beschaffung von regelmäßig benötigten Bauteilen. Einzelne Lieferabrufe stehen im Kontext einer langfristigen Bedarfsvorschau mit definierten Lieferterminen und -mengen.
Für Lieferanten ist eine solche Bedarfsvorschau Grundlage zur Planung von Produktions- und Distributionsprozessen. Durch die rollierende Planung von Lieferabrufen kann es jedoch zu kurzfristigen terminlichen und mengenmäßigen Anpassungen kommen, welche sowohl den Lieferanten als auch den Abnehmer vor Herausforderungen stellen. Über diese abnehmerseitigen operativen Planungen hinaus, gibt es eine Reihe von externen Umweltereignissen, welche möglicherweise die Lieferleistung des Lieferanten oder seiner Vorlieferanten beeinflussen. Es stellt sich immer wieder die Frage, ob einzelne Lieferketten kurzfristig „mithalten“ können und die erwartete Leistung erbringen.
Dies zu bewerten, sicherzustellen und auch durch Liefer-Engpässe zu navigieren, sind die Aufgaben der Abteilung Critical Parts and Supply Chain Risk Management. Nicht zuletzt durch die Vielzahl benötigter Teile und deren Abhängigkeiten über mehrere Werke hinweg ist die Aufgabe anspruchsvoll und eine KI-Unterstützung erscheint wünschenswert. Im Tagesgeschäft stehen Bestände und Versorgungssicherheit im Vordergrund, nicht der einzelne Liefertermin.
Durch die agile Entwicklung eines Machine Learning-Prototyps konnten schnell Potenziale, aber auch die Probleme hierzu aufgezeigt werden. Die Herausforderung dabei: Ein Großteil der verfügbaren Daten hat Planungscharakter oder den Charakter von Artikel- bzw. Lieferantenstammdaten, die sich im Zeitverlauf nicht verändern – zeitnahe Impulse zu einzelnen Lieferungen sind rar. Es gilt daher, sozusagen „aus der Ruhe“ jeweils eine kurzfristige Warnung abzuleiten, sofern eine gewisse Konfidenz für die Berechtigung der Warnung erreicht wird, was methodisch anspruchsvoll ist.
Durch eine Zeitscheiben-Betrachtung und die gemeinsame Konsens-Definition von Schwellwerten entlang der VDA-Richtlinien konnte eine Lösung gefunden werden, welche nicht nur die Potenziale solcher Verfahren aufzeigt, sondern schon vor einem Live-Betrieb die Diskussion durch das Aufzeigen der erkannten Einflussfaktoren und deren Gewichtung inhaltlich weiterbringt.
- Das Anspruchsvollste an Machine Learning-Ansätzen in größeren Unternehmen ist oft eher, eine allgemeingültige „Wahrheit“ zu definieren und eine fachliche Fragestellung so zu formulieren, dass ein lösbares ML-Problem entsteht, als es dann effektiv zu lösen.
- Eine Machine Learning-KI muss keine Black-Box sein, sondern kann durchaus Sparringspartner für Prozessverantwortliche spielen und neue Zusammenhänge aufzeigen. Die Verfahren ersetzen dabei keine Spezialisten, sondern fungieren eher als deren „Brille für Daten“.
Umgesetzt wurde dies technisch mit einer umfangreichen Datenvorverarbeitung und Datenintegration in R sowie der skalierbaren Data-Mining-Plattform H2O, mit der sich sehr viele Methoden trotz großer Datenmengen in kurzer Zeit erproben lassen. Durch den Einsatz von neuen Methoden des Explainable Machine Learning (XAI) konnte auch aufgezeigt werden, wie Mitarbeiter Machine Learning-Ergebnisse verstehen und hinterfragen können
Ergebnis war neben dem Proof of Concept eine Reihe von Erkenntnissen für Umsetzung, Betrieb und organisatorische Einbettung von Machine Learning-Verfahren im Rahmen des Supply Chain Risk Management. Auch durften wir uns über positives Feedback freuen.
Hinweis: Der Artikel fasst im Wesentlichen Erkenntnisse aus der Master-Arbeit von Bastian Engelking an der Fachhochschule Münster 2019 zusammen. Betreuer der Arbeit war Prof. Dr. Buchholz.
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