Die letzte Version des Scrum Guides ist gerade mal ein gutes Jahr alt: Im Juli 2016 wurde die 2013er Ausgabe des Rahmenwerks um überschaubare aber inhaltlich sehr wertvolle 141 Worte erweitert. Seitdem sind die Scrum-Werte Fokus, Offenheit, Respekt, Mut und Selbstverpflichtung Teil des Dokuments.
Im November 2017 stand nun eine neuerliche und dieses Mal etwas weitreichendere Aktualisierung ins Haus. Einen kompakten Überblick der wesentlichen Änderungen bietet die obige Grafik. Die Details werden unten vorgestellt.
Entwarnung zu Beginn
An der Definition von Scrum hat sich nichts geändert. Es gibt keine neuen Artefakte, Rollen oder Events. Dennoch sind einige Änderungen durchaus bemerkenswert.
Anwendungsgebiete von Scrum
Dem eigentlichen Rahmenwerk vorangestellt ist nun ein neuer, umfangreicher Abschnitt zur Anwendung von Scrum. Darin finden sich im wesentlichen folgende Punkte:
- Scrum dient dem Managen, Entwickeln, Betreiben und Erneuern von Produkten.
- Scrum kann zur Markt-, Technologie- und Produktforschung verwendet werden.
- Scrum kann zur Entwicklung und dem Betrieb von Cloud-Umgebungen verwendet werden.
- Scrum findet Anwendung in der Hard- und Software-Entwicklung, in autonomen Fahrzeugen, im öffentlicher Sektor und in „nahezu Allem was wir im täglichen Leben als Individuen und Gesellschaft nutzen“.
Der Abschnitt legt den Fokus auf die Fähigkeit von Scrum, den Umgang mit Komplexität beherrschbar zu machen. Die Essenz von Scrum sei ein kleines Team von Menschen, das in hohem Maße flexibel und anpassungsfähig ist. Diese Eigenschaften lassen sich auf „einige, viele und ganze Netzwerke von Teams“ übertragen. Der Begriff „Entwicklung“ (engl. Development) im Scrum Guide bezieht sich auf alle komplexen Tätigkeiten, die in den o.g. Bereichen ausgeführt werden.
Neue Aufgaben für den Scrum Master
Der Scrum Master unterstützt jetzt den Product Owner darin, dass jeder im Scrum Team die Ziele, den Umfang und die Produktdomäne des Vorhabens so gut wie möglich versteht. Der Scrum Master ist darüber hinaus nun offiziell dafür verantwortlich, dass Retrospektiven „positiv“ und „produktiv“ sind.
Weniger Struktur fürs Daily
Waren bis 2016 die drei Fragen („Gestern“, „Heute“, „Hindernisse“) noch verpflichtender Teil des Daily Scrums, erlaubt der Scrum Guide nun diskussionsgetriebene Abläufe des 15-minütigen Meetings und schlägt die bekannten drei Fragen lediglich als eine mögliche Variante zur Durchführung vor.
Darüber hinaus wurde die Formulierung bezüglich der Teilnehmer aufgeräumt: Das Daily ist ein internes Meeting des Entwicklungsteams. Sind weitere Personen beteiligt, sorgt der Scrum Master dafür, dass Unterbrechungen ausbleiben.
Retro mit Konsequenzen
Die Selbstbetrachtung des Teams und des Prozesses der Retrospektive soll sich nun auch sichtbar auf den nächsten Sprint auswirken. Dafür ist mindestens eine Maßnahme zur Prozessverbesserung in das Sprint Backlog des nächsten Sprints aufzunehmen.
Last but not least
Die Definition of Done darf den Produktvorgaben und Organisationsstandards nicht entgegenstehen. Jedes Element des Product Backlogs hat nun offiziell Prüfungen („tests“), die belegen, wann ein Element fertig ist. Außerdem soll jedes fertige Produktinkrement ein Schritt in Richtung einer (damit im Guide erstmalig erwähnten) Vision des Produkts sein.
Und was lernen wir daraus?
Die Anwendungsgebiete von Scrum als textlich längste Änderung haben keine Relevanz für Teams, die den Scrum Guide als Referenz für ihre Arbeit benutzen. Es wird lediglich ein Werbeblock vor die Kerninhalte gestellt. Die neuen Aufgaben des Scrum Masters schärfen seine Tätigkeit im Sinne von Fokus der Teams auf die wesentlichen Aufgaben. Die produktive Gestaltung von Retrospektiven unterstreicht, dass es auch hier um nutzbare Ergebnisse gehen muss.
Genau diese Ergebnisse sind es, die durch die Übernahme ins Sprint Backlog wesentlich mehr Sichtbarkeit erfahren. In der Praxis wurden oft Maßnahmenboards oder -listen verwendet, nun kann man die beschlossenen Aktionen aus den Retros beruhigt mit ins Sprint Backlog nehmen. Das führt sicherlich auch zu konkreteren Maßnahmen – wie will man sonst feststellen ob sie „done“ sind?
Die Lockerung der Daily-Regeln kommt erfahrenen Teams sicherlich zugute. Für junge Teams empfiehlt sich jedoch weiterhin, die drei Fragen als strukturelle Hilfe zu beantworten und den Fokus auf Dinge zu legen, die erledigt sind.
Eine wesentliche Änderung hat der Guide direkt auf der ersten Seite noch erfahren: Die Scrum-Eltern Ken Schwaber und Jeff Sutherland zeigen die Gemeinschaftlichkeit und den Zusammenhalt, den sie von Entwicklungsteams fordern nun auch selbst: Die beiden einzelnen Porträts der Scrum-Erfinder sind einem einträchtigen gemeinsamen Foto gewichen.