06.04.2023

5 Tipps für eine effektive Retrospektive

Wir erläutern, worauf ein:e Scrum Master:in achten sollte, um effektive Retrospektiven zu ermöglichen.

Teaserbild effektive Retrospektive

Der Erfolg einer Retrospektive hängt maßgeblich von der Art und Weise ab, wie ein:e Scrum Master:in sie vorbereitet und durchführt. Wir erläutern heute, worauf ein:e Scrum Master:in achten sollte, um effektive und sinnstiftende Retros zu ermöglichen. Erfahre, wie man das Beste aus diesem Scrum Event herausholt.

Der Erfolg einer Retrospektive hängt maßgeblich von der Art und Weise ab, wie ein:e Scrum Master:in sie vorbereitet und durchführt. Wir erläutern heute, worauf ein:e Scrum Master:in achten sollte, um effektive und sinnstiftende Retros zu ermöglichen. Erfahre, wie man das Beste aus diesem Scrum Event herausholt.

Tipp 1 - Schaffe eine gute Atmosphäre!

Ein sehr wichtiger und dennoch häufig unterschätzter Einflussfaktor für den Erfolg einer Retrospektive ist die Stimmung. Aufgabe von Scrum Master:innen ist es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich das Team wohl und sicher fühlt. Nur so kann es gelingen, dass Teammitglieder sich öffnen und selbstkritisch mitunter sensible Themen hinsichtlich der Zusammenarbeit besprechen.

Wie können der Scrum Master:innen diese Atmosphäre schaffen? Zuallererst muss es einen geschützten Raum geben. Retrospektiven funktionieren im Großraumbüro ebenso schlecht wie in Räumen, in die ständig jemand hereinplatzt. Das Team muss die Retrospektive ungestört abhalten können. Daneben benötigt das Team aber auch einen geschützten Raum im übertragenen Sinn, um emotionale Sicherheit zu haben. Retrospektiven müssen der Vertraulichkeit unterliegen und Teammitglieder:innen müssen sicher sein, dass Äußerungen nicht in anderen Kontexten herangezogen oder schlimmstenfalls missbraucht werden. Daher sollte der Teilnehmerkreis auch auf das Scrum-Team beschränkt sein. Zu einem geschützten Raum gehört darüber hinaus, dass vereinbarte Werte für die Zusammenarbeit eingehalten werden und dass vertrauensvoll miteinander umgegangen wird. Darauf zu achten liegt in der Verantwortung der Scrum Master:in. Beispielsweise sollte er im Falle von Wertverletzungen auf den Teamkodex hinweisen, aber auch regelmäßig daran erinnern, dass für Retrospektiven die sogenannte Vegas-Regel gilt: „Was in der Retro passiert, bleibt in diesem Raum“.

Welcome to Fabulous Las Vegas - Teaserbild

Neben der Gewährleistung einer sicheren Atmosphäre ist es wichtig, eine positive Grundstimmung zu schaffen. Eine Retrospektive darf Spaß machen! Und es darf gelacht werden! Eine gelöste Stimmung trägt dazu bei, dass im Nachgang auch heikle Themen in der Gruppe angesprochen werden. Ein:e Scrum Master:in kann gezielt Methoden auswählen, die Positives in den Vordergrund stellen und so zu einer entsprechenden Grundstimmung beitragen. Lob und Unterstützung tun erfahrungsgemäß jedem gut. Last but not least kann eine Wohlfühlatmosphäre natürlich auch durch Zuhilfenahme von Motivatoren wie Obst, Snacks und Getränken unterstützt werden.

Tipp 2 - Achte auf deine Moderation!

Die Rolle der Scrum Master:in in der Retrospektive ist die der Moderator:in, nicht die eine:r Besserwisser:in. Es geht darum, die Reflexion des Teams zu unterstützen, ihnen gute Denkimpulse zu geben und zu ermöglichen, dass sie gemeinsam Ideen für die nachhaltige Verbesserung ihrer Prozesse und ihrer Zusammenarbeit entwickeln. Die Scrum Master:in tut gut daran, sich inhaltsneutral zu verhalten und nicht etwa eigene vermeintlich maßgeschneiderte Lösungen zu liefern. Eventuell bedeutet diese Neutralität auch, Lösungen zuzulassen, von denen man selbst nicht hundertprozentig überzeugt ist.

Scrum Master:innen haben mit ihrer Moderation außerdem eine ausgeglichene, sachliche und faire Kommunikation sicherzustellen. Sie haben zum Beispiel darauf zu achten, dass Redeanteile gleich verteilt sind und dass alle in der Runde ihre Meinung mitteilen können, wenn sie möchten. Dazu eignen sich spezielle Methoden, bei denen auch zurückhaltende Teammitglieder zu Wort kommen, beispielsweise durch das stille Notieren von Gedanken, die anschließend reihum vorgestellt werden. Einzelne Personen können ebenso durch direkte Ansprache involviert werden. Hierbei empfiehlt sich die Verwendung offener Fragen. Meinungen kommunikationsstarker Teilnehmer lassen sich recht einfach durch gezielte Rückfragen in Richtung Team validieren. Wenn nötig, erinnert die Scrum Master:in an Vereinbarungen zur Zusammenarbeit, um eine konstruktive Diskussionskultur zu garantieren.

Scrum Master:innen müssen zudem die Fähigkeit mitbringen, Stille aushalten zu können. Pausen in der Diskussion sind in der Regel produktiv, was Denkprozesse und Ideengenerierung angeht, und sollten nicht überbrückt oder abgekürzt werden, auch wenn sie sich manchmal unangenehm anfühlen. Noch viel weniger sollten sie dazu führen, dass die Scrum Master:in selbst plötzlich ungefragt Lösungsvorschläge macht. Wenn das Team eine Problemstellung für sich identifiziert hat und die Scrum Master:in um das Teilen von Erfahrungen bittet, so kann diesem Wunsch selbstverständlich nachgekommen werden. Zum Beispiel mit einem Bericht von anderen Teams, die mit einem ähnlichen Problem konfrontiert waren und deren Lösungsansatz. Es dürfen dann natürlich auch eigene Ideen in die Diskussion eingebracht werden. Wichtig ist, dass die Reflexion und die Bewertung dieser Vorschläge und deren Anwendbarkeit auf die eigene Situation das Team übernimmt.

Tipp 3 - Kenne dein Team!

Jedes Team ist anders, genau wie die Individuen, aus denen sich ein Team zusammensetzt. Ein:e Scrum Master:in muss das Team kennen und wissen, welche Art der Ansprache funktioniert und welche nicht. Ein:e Scrum Master:in sollte die verwendeten Methoden in Abhängigkeit der Charaktere im Team wählen und Rücksicht auf individuelle Eigenschaften und Züge der Teammitglieder:innen nehmen.

Spielerische Methoden funktionieren nicht in jedem Teamkontext. Manche Teams legen – auch in der Retrospektive – eine stark ausgeprägte Effizienzorientierung an den Tag und wollen schnellstmöglich zur Maßnahmendefinition kommen, weil das für sie der relevanteste Bestandteil einer Retrospektive ist. Genauso kann es für andere Teams bedeutsam sein, dass ausreichend Zeit für einzelne Übungen und Diskussionen vorhanden ist und wirklich alle gehört werden können, bevor letztendlich Schlüsse gezogen werden. Ein:e guter Scrum Master:in kennt das Team in- und auswendig und weiß, wie die Teammitglieder:innen bestmöglich angesprochen werden. Es ist zu betonen, dass dieser Zustand nicht über Nacht erreicht werden kann, sondern Zeit braucht. Auch für erfahrene Scrum Master:innen ist es wichtig, Zeit mit dem Team zu haben, aufmerksam zu beobachten, gut zuzuhören und Feedback einzuholen. Eine ausreichende Präsenz während des Sprints ist hierfür unabdingbar.

Darüber hinaus ist es wichtig zu wissen, in welcher Situation sich das Team aktuell befindet und zu verstehen, was das Team gerade bewegt. Ein:e empathische:r Scrum Master:in kann die Stimmung seines Teams richtig einschätzen und entsprechend agieren. Außerdem kann sie:er relevante, aktuelle Ereignisse in der Retrospektive thematisieren und so eine sinnstiftende Diskussion ermöglichen.

Tipp 4 - Halte Maßnahmen nach!

Die besten Maßnahmen helfen nicht, wenn sie nicht umgesetzt werden. Zum einen, weil eine nicht umgesetzte Maßnahme offensichtlich keine Verbesserung erzielen kann. Zum anderen, weil nicht umgesetzte Vereinbarungen keine Verbindlichkeit erzeugen und die für die Definition investierte Zeit dann schnell als überflüssig wahrgenommen werden kann. Im schlimmsten Fall könnte ein Team daraus für sich ableiten, dass es grundsätzlich nicht wichtig ist, Vereinbarungen einzuhalten.

Insofern ist es nach den Prinzipien der Agilität von enormer Bedeutung, dass die Scrum Master:in die vereinbarten Maßnahmen nachhält und das Team gegebenenfalls an deren Umsetzung erinnert und letztere einfordert. Maßnahmen können beispielsweise als Aufgaben auf das Board des nächsten Sprints wandern, wie im 2017er-Update des Scrum Guides vorgeschlagen (Update: Inzwischen liegt auch das 2020er-Update des Scrum Guides vor). Oder sie können im Teamraum, im Wiki oder auf eine andere wirksame Weise sichtbar gemacht werden, sodass jeder die vereinbarten Maßnahmen regelmäßig vor Augen hat. Die Scrum Master:in sollte – zumindest für sich – auch die Gründe für gewählte Maßnahmen nachhalten, zum Beispiel auf der Rückseite der entsprechenden Klebezettel oder im Kommentarfeld von JIRA-Vorgängen. Grund dafür ist nicht nur, auskunftsfähig zu sein, sondern auch gewählte Maßnahmen zu einem späteren Zeitpunkt mit dem Team reflektieren und bewerten zu können. Hierfür bietet sich zum Beispiel ein kurzer Rückblick im Rahmen der nächsten Retrospektive an oder auch das Sammeln umgesetzter Maßnahmen im Teamraum und eine Reflexion zum Erfolg der Maßnahmen nach ein paar Sprints.

Maßnahmen schriftlich notieren

Tipp 5 - Sorge für Abwechslung!

 

Retrospektiven nach Schema F können schnell dazu führen, dass diese als langweilig und unbefriedigend wahrgenommen werden und darüber hinaus nicht mehr zu wirklichen Verbesserungen beitragen. In diesem Fall ist es nachvollziehbar, wenn ein Team sich fragt, ob Retros überhaupt noch einen Sinn haben.

Ein:e gute:r Scrum Master:in schafft es, durch Abwechslung den Wert von Retrospektiven zu erhalten und stets neue Impulse für Reflexion und Veränderung zu setzen. Abwechslung kann sich hierbei auf verschiedene Aspekte der Retrospektive beziehen. Natürlich kann die Scrum Master:in durch gezielte Methodenauswahl Abwechslung erreichen. Als Hilfestellung empfiehlt sich eine Art Retro-Tagebuch, in dem verwendete Methoden und Themen je Retrospektive nachgehalten und bei Bedarf nachgeschlagen werden können. Gleichermaßen können bekannte Methoden in einem anderen Kontext verpackt werden. So lassen sich beispielsweise Themenretrospektiven entwickeln, die sich an persönliche Interessen der Teammitglieder oder kalendarische Ereignisse anlehnen wie eine Nikolaus-Retro oder Halloween-Retro.

Neben Abwechslung von Methoden und verwendeten Materialien sind auch Medienwechsel sinnvoll. Einfach mal eine Retrospektive mit Softwareunterstützung durchführen! Hier bietet sich eine Vielzahl von Tools an, die zumindest in der Basisversion im Netz frei verfügbar sind (z. B. https://funretro.io/). Das holt zum einen IT-affine Kollegen ab, zum anderen bietet ein neues Medium auch neue Features.

Eine weitere Option ist es, ein bestimmtes Thema zum Inhalt der Retrospektive zu machen. Für diese Art von Retrospektiven wird bewusst kein offenes Format gewählt, sondern ein Fokusthema oder eine bestimmte Fragestellung durch die Scrum Master:in vorgegeben. In einer solchen Fokusretrospektive kann beispielsweise der Umgang mit der Velocity, die Durchführung von Reviews oder die Einhaltung des Teamkodex im Detail beleuchtet und diskutiert werden – immer mit dem Ziel, in diesem konkreten Bereich eine Verbesserung zu erreichen.

Abwechslung kann auch auf ganz andere Art erzielt werden. Kuchen wirkt in Bezug auf das Energielevel beispielsweise Wunder. Ortswechsel können dazu beitragen, dass Teammitglieder sich ganz anders engagieren und neue Perspektiven einnehmen. Warum nicht mal eine Retrospektive im Freien abhalten? Oder mal auf sämtliche Methodik verzichten und eine ganz offene Diskussion über Gefühle und Empfindungen zu aktuellen Geschehnissen führen? Das kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn das Team gerade einen Rückschlag verdauen muss.

Zeichnung der Natur mit Sonne, Bergen und See

Es lassen sich auch einzelne Aspekte bzw. Phasen einer Retrospektive anders gestalten. Beispielsweise kann man die Themensammlung aus der Retrospektive ausgliedern, indem man bereits während des Sprints die Möglichkeit bietet, positive wie negative Erlebnisse in einem „Retro-Briefkasten“ abzuladen, der dann gemeinsam in der Retrospektive geöffnet wird. Dies kann zu einer breiteren Palette von Themen führen, außerdem hat es den positiven Nebeneffekt, dass man in der Retrospektive selbst Zeit spart.

Noch nicht genug Variation? Wie wäre es mit gezielten Übungen und Spielen, die zum Feedbackgeben anregen oder Aktivitäten, die den Zusammenhalt im Team verbessern? Wir haben in diesem Bereich gute Erfahrungen mit Personality Poker oder Agile Games wie der Marshmallow Challenge gemacht.

Dieser Überblick zeigt, dass die Möglichkeiten, den Verbesserungsprozess in Gang zu halten, vielfältig sind. Ein:e guter Scrum Master:in macht sich diese Vielfalt zunutze und setzt so nicht nur neue Impulse, sondern erreicht womöglich auch mehr Zufriedenheit im Team.

Der nächste Schritt: Scrum Master:in advanced

Für alle Scrum Master:innen, die sich weiter entwickeln möchten, bieten wir das zweitägige Seminar Scrum Master:in Advanced an. Das Seminar richtet sich an Scrum Master:innen, die bereits Praxiserfahrung haben. Es bietet dir eine anspruchsvolle methodische und persönliche Weiterentwicklung, die sich an den Skills orientiert, die Scrum Master:innen tatsächlich in der Praxis benötigen. Das Seminar wird regelmäßig in unseren Geschäftsstellen in Münster, Köln und Dortmund sowie remote und auf Anfrage vor Ort in deinem Unternehmen angeboten.

Blogreihe zu Retrospektiven

Dieser Artikel ist Teil unserer Blogserie, in der wir Praxiserfahrungen und Hintergrundwissen zu Retrospektiven und bewährten Methoden teilen möchten. Folgende Teile sind bereits erschienen oder erscheinen in den nächsten Tagen:

Teil 1: Retrospektiven – Team-Beschleunigung hoch zwei
Teil 2: Maßnahmen, die verändern und den Wirkungsgrad von Retrospektiven erhöhen
Teil 3: Heute schon gemuckert? Mucker-Karten-Retrospektive
Teil 4: Lean Coffee – Zeit für ein gutes Gespräch
Teil 5: 5 Tipps für eine effektive Retrospektive
Teil 6: High-Performance-Team-Retrospektive
Teil 7: Effektive Retros mit der 4G-Methode
Teil 8: Open-the-Box-Retrospektive
Teil 9: Halloween-Retrospektive in 5 Schritten
Teil 10: Alle Jahre wieder: Die Nikolaus-Retrospektive
Teil 11: Retrospektiven Abschluss

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Autor:Innen

Nicole Neunhöffer

Nicole Neunhöffer ist Beraterin für Organisationsentwicklung und Agilität und begleitet Mitarbeiter:innen, Teams und Organisationen in Veränderungsprozessen.

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